Ärzte dürfen Dritten Akteneinsicht in Patientenunterlagen nur in Ausnahmefällen gewähren. In der Praxis sehen sich Ärzte z.B. oft der Frage ausgesetzt, wann und in welchem Umfang sie den Angehörigen von verstorbenen Patienten Akteneinsicht  gewähren dürfen. In einer aktuellen Entscheidung hat erneut das OLG Karlsruhe (Urt. v. 14.08.2019 – 7 U 238/18) die Grenzen betont, die bei der Einsicht in die Patientenunterlagen von Verstorbenen bestehen.

Der Fall

Geklagt hatte eine Frau, die Akteneinsicht in die Unterlagen ihrer verstorbenen Tochter begehrte. Mutter und Tochter hatten im Jahr 2009 Patientenverfügungen und Vorsorgevollmachten angefertigt und sich hierbei gegenseitig als Bevollmächtigte mit Akteneinsichtsrecht eingesetzt. Zu diesem Zweck entbanden sie die jeweils behandelnden Ärzte von ihrer Schweigepflicht.

Im Jahr 2016 begann die Tochter eine psychotherapeutische Behandlung. Deren Gegenstand war u.a. das Verhältnis zu ihrer Mutter. Aus diesem Grund äußerte sie gegenüber dem Behandelnden, dass die im Rahmen der Sitzungen besprochenen Inhalte nicht für die Klägerin bestimmt seien. Diese vertrat die Ansicht, dass sie die psychotherapeutischen Patientenunterlagen ihrer Tochter benötige, um Fragen zum Testament und eventueller Behandlungsfehler des Arztes zu klären.

Kein Recht auf Akteneinsicht

Das OLG Karlsruhe hat ein Recht auf Akteneinsicht der Klägerin verneint. Zwar können im Falle des Todes des Patienten gemäß § 630 g III 1, 2 iVm § 630 g I BGB sowohl die Erben zur Wahrnehmung vermögensrechtlicher als auch die nächsten Angehörigen zur Wahrnehmung immaterieller Interessen Einsicht in die Behandlungsakten nehmen. Nach § 630 g III 3 BGB sind die Rechte allerdings ausgeschlossen, soweit der Einsichtnahme der ausdrückliche oder mutmaßliche Wille des Patienten entgegensteht. Vorliegend habe die Verstorbene sogar ausdrücklich dargelegt, dass der Klägerin keine Akteneinsicht zu gewähren sei, sodass sich der behandelnde Arzt in zutreffender Weise auf seine postmortale Schweigepflicht berufen hat.

Zudem ging das Gericht davon aus, dass dieser Wille auf Einhaltung der Verschwiegenheitsverpflichtung einschränkungslos über den Tod hinaus gelte und das Geheimhaltungsinteresse durch das Ableben nicht entfallen sei. Insbesondere dürfe bei Schilderungen in einer Therapiesitzung davon ausgegangen werden, dass der Patient intime Details nur in der Erwartung preisgebe, dass Dritte davon nicht erfahren. Gerade wenn die Befürchtung bestünde, dass die Klägerin selbst unter den Informationen der Therapiesitzung leiden könne, untermauert dies die Annahme eines auch nach dem Tod bestehendes Geheimhaltungsinteresses  (OLG Karlsruhe, Urteil vom 14.8.2019 – 7 U 238/18 – Rn. 12).

Keine Überlagerung durch Vorsorgevollmacht/Patientenverfügung

Weiterhin betont das OLG Karlsruhe, dass im vorliegenden Fall kein Recht auf Akteneinsicht aus der bestehenden Vorsorgevollmacht/Patientenverfügung aus dem Jahr 2009 resultiere. Schließlich können die insoweit getroffenen Regelungen zur Akteneinsicht nur dann Anwendung finden, wenn sie noch auf die aktuelle Lebens- und Behandlungssituation des Verfügenden zutreffen. Hat dieser zu Lebzeiten eindeutige entgegenstehende Äußerungen getätigt, sind diese zu berücksichtigen. So lag es auch im hier entschiedenen Fall, da die psychotherapeutische Behandlung sieben Jahre nach Aufsetzen der Vorsorgevollmacht/Patientenverfügung begonnen wurde und sich die Verstorbene zu diesem Zeitpunkt eindeutig positioniert hatte.

Praxishinweis

Die ärztliche Schweigepflicht besteht über den Tod des Patienten hinaus. Ärzte sind daher grundsätzlich nicht berechtigt, Dritten Informationen über den verstorbenen Patienten zu gewähren. Anders verhält es sich, wenn der Patient bereits zu Lebzeiten klargestellt hat, wem Informationen nach dem Tod übermittelt werden dürfen oder sogar sollen. Bei der Prüfung, ob Einsicht in die Patientenunterlagen gewährt werden muss, ist Ärzten folgendes Vorgehen zu empfehlen:

  1. Zunächst steht ein Anspruch auf Akteneinsicht in die Unterlagen verstorbener Patienten gemäß § 630g III 1 BGB nur den Erben zu. Der Arzt sollte sich daher bei Zweifeln anhand eines Erbscheins nachweisen lassen, dass eine solche Erbenstellung vorliegt.
  1. Da auch nahen Angehörigen grundsätzlich ein Recht auf Akteneinsicht zusteht, sollte sich der Arzt auch hier erkundigen, in welchem Verhältnis die Dritten zum Verstorbenen gestanden haben und dies dokumentieren.
  1. Handelt es sich bei dem Dritten um Erben oder nächste Angehörige besteht ein Recht auf Akteneinsicht, sofern diese nicht durch den ausdrücklichen oder mutmaßlichen Willen des Patienten ausgeschlossen worden sind.
  1. Zunächst ist zu prüfen, ob sich der Patient ausdrücklich geäußert hat. Existieren schriftliche Hinweise oder Vermerke in der Patientendokumentation, die den Willen des Patienten eindeutig erkennen lassen?
  1. Fehlt es an eindeutigen Hinweisen, ist der mutmaßliche Wille des Patienten zu ermitteln. Hätte er es gebilligt, dass die Erben/Angehörigen Einsicht in seine Patientenunterlagen nehmen dürfen? Das Prüfungsergebnis sollte ebenfalls sorgfältig dokumentiert werden.
  1. Verbleiben im Ergebnis Zweifel, ob die Akteneinsicht dem Willen des Verstorbenen entsprochen hätte, sollte der Arzt die Einsicht verweigern. Schließlich kann man ihm nicht zumuten, auf Basis einer uneindeutigen Tatsachengrundlage eine Verletzung seiner Schweigepflicht in Kauf zu nehmen und sich damit dem Risiko der Strafverfolgung gemäß § 203 StGB auszusetzen.
  1. Verweigert der Arzt die Akteneinsicht, muss der dem Dritten darlegen, dass und unter welchem allgemeinen Gesichtspunkt er sich durch die Schweigepflicht an der Offenlegung der Unterlagen gehindert sieht.

In der Praxis ist nicht immer eindeutig, ob die Schweigepflicht des Arztes hinter dem Interesse der Erben und nahen Angehörigen des Verstorbenen zurücktreten muss. Insbesondere sehen sich Ärzte auch Druck ausgesetzt, wenn Dritte das Recht auf Akteneinsicht zum Beispiel durch Anwaltspost einfordern. Hierbei stehen wir Ihnen gerne beratend zur Seite.

RA Dr. Sebastian Braun