Im Rahmen einer Wirtschaftlichkeitsprüfung wird durch die Prüfungsstelle und ggf. den Beschwerdeausschuss die wirtschaftliche Leistungserbringung des Arztes überprüft. Anhand eines Falles aus dem hausärztlichen Sektor hat das SG Marburg (Urt. v. 19.06.2019 – S 17 KA 476/17) die Anforderungen an ein ordnungsgemäßes Prüfungsverfahren betont.

Der Fall

Bei der Klägerin handelte es sich um eine zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassene Hausärztin, die einer Wirtschaftlichkeitsprüfung unterzogen wurde. Ein Schwerpunkt ihrer Praxis lag auf der psychosomatischen Medizin. Diesen Bereich hatte sie über mehrere Jahre intensiv ausgebaut, sodass sie zu einem Großteil Patienten mit psychosomatischen Krankheitsbildern versorgte. Hierbei wurde die Ärztin auch innerhalb des Kollegenkreises als psychosomatische Schwerpunktpraxis bezeichnet.  Dem entsprechend kam es – im Vergleich zu anderen Praxen der Fachgruppe – zu einer überdurchschnittlichen Abrechnung der GOP 35110. Demgegenüber rechnete sie die verwandte GOP 35100 deutlich weniger ab.

Die Prüfungsstelle führte eine Prävalenzprüfung durch und attestierte der Klägerin – im Vergleich zur Fachgruppe – eine Mehrversorgung von 104 %. Daraus leitete die Prüfungsstelle ein offensichtliches Missverhältnis im Vergleich zur Fachgruppe ab, was einem Anscheinsbeweis für ein unwirtschaftliches Verhalten entspreche. Hiergegen legte die Klägerin Widerspruch zum Beschwerdeausschuss ein. Da dieser den Widerspruch der Klägerin zurückwies, hatte nun das SG Marburg zu entscheiden.

Nach Ansicht der Klägerin sei nicht berücksichtigt worden, dass innerhalb der Fachgruppe nicht alle Kollegen die Berechtigung besitzen, die GOP 35110 abzurechnen. Zudem habe man außer Acht gelassen, dass der Gesamtfallwert der Klägerin deutlich unter dem Fachgruppendurchschnitt liege. Weiterhin seien kompensatorische Einsparungen gegeben, da die Überschreitungen bei der GOP 35110 durch Unterschreitungen bei der gleichwertigen GOP 35100 ausgeglichen werden.

Die Entscheidung

Das Gericht gab der Klage der Hausärztin statt. Zwar stellt es fest, dass die Klägerin den Vergleichsgruppendurchschnitt in den streitgegenständlichen Quartalen jeweils in großem Umfang überschritten hat, so dass der Anscheinsbeweis der Unwirtschaftlichkeit rein statistisch geführt ist.

Allerdings fokussiert sich die Kammer darauf, ob im Rahmen der Wirtschaftlichkeitsprüfung eine hinreichende intellektuelle Prüfung stattgefunden habe. Bei dieser sind – zusätzlich zu den statistischen Werten – die für den Fall relevanten medizinisch-ärztlichen Gesichtspunkte zu berücksichtigen. Hierzu gehören das Behandlungsverhalten, die unterschiedlichen Behandlungsweisen innerhalb der Arztgruppe und die bei dem geprüften Arzt vorhandenen Praxisbesonderheiten (so bereits BSG, Urteil vom 09. März 1994 – 6 RKa 17/92). Insofern hat die intellektuelle Prüfung die Aufgabe, das statistische Ergebnis zu kontrollieren und – wenn nötig – zu korrigieren.

Dies sei durch die Prüfungsstelle bzw. den Beschwerdeausschuss nicht geschehen. Die Klägerin hatte ausführlich auf ihre besondere Patientenklientel, die psychosomatische Ausrichtung der Praxis sowie die Unterschreitungen der Gesamtfallzahlen hingewiesen. Dennoch wurde die Unwirtschaftlichkeit nahezu ausschließlich aus der ermittelten Statistik abgeleitet, sodass Praxisbesonderheiten weitestgehend unberücksichtigt blieben.

Pointiert heißt es dazu in der Entscheidung:

Insofern geht die Kammer davon aus, dass der Beklagte sich im vorliegenden Verfahren nicht die Mühe gemacht hat, dem klägerischen Vortrag auch nur ansatzweise nachzugehen. Entgegen dem Vortrag des Beklagten gibt es nach dem Akteninhalt keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass er eine intellektuelle Prüfung durchgeführt hat, indem er gründlich die Behandlungsunterlagen durchgesehen hätte.“  (SG Marburg, Urt. v. 19.06.2019 – S 17 KA 476/17 – Rn. 62).

Praxiskommentar

Regelmäßig ist die korrekte Durchführung und Abrechnung psychosomatischer Gesprächsleistungen, die nur bei einer Qualifikation nach den Psychotherapie-Vereinbarungen erbracht werden dürfen, Gegenstand einer Plausibilitätsprüfung bzw. Prüfung auf sachlich-rechnerische Richtigkeit (Braun, best practice onkologie 2019, 325). Letztere genießt grundsätzlich Vorrang vor der Wirtschaftlichkeitsprüfung. Schließlich kann die Honorarforderung des Arztes nur dann effektiv auf ihre Wirtschaftlichkeit geprüft werden, wenn sie sachlich-rechnerisch richtig und damit rechtmäßig ist (SG Marburg, Urt. v. 19.06.2019 – S 17 KA 476/17 – Rn. 24). Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts unterfallen daher Honorarforderungen für fehlerhaft erbrachte Leistungen nicht der Wirtschaftlichkeitsprüfung (BSG, Urt. v. 06.09.2006 – B 6 KA 40/05 R – Rn. 19).

Bei einer solchen steht demgegenüber im Vordergrund, ob der Vertragsarzt im Vergleich zu einer durchschnittlichen Praxis ordnungsgemäß und wirtschaftlich sinnvoll gearbeitet sowie abgerechnet hat (Braun, best practice onkologie 2019, 326). Hierfür ist § 12 SGB V die entscheidende Norm. In dieser ist das im gesamten Vertragsarztrecht Anwendung findende Wirtschaftlichkeitsgebot geregelt. Es besagt, dass die Versorgung ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein muss, d. h. sie darf das Maß des Notwendigen nicht überschreiten, § 12 I SGB V (Braun, best practice onkologie 2019, 326). Insofern besteht ein Spannungsverhältnis zwischen der Therapiefreiheit des Arztes und dem stets zu beachtenden Gebot der vollständig wirtschaftlichen Leistungserbringung, da einzelne Leistungen nach Einschätzung des Arztes zwar zu erbringen wären, gleichzeitig aber durch die Prüfungsstelle als unwirtschaftlich eingestuft werden können (BSG, Urt. v. 15.04.1980 – 6 RKa 5/79; Braun, best practice onkologie 2019, 326).

In der Praxis kommt es jedoch nicht selten zu Überschneidungen der dargestellten Prüfverfahren. Hierzu führt das BSG in ständiger Rechtsprechung zutreffend aus:

Dieser grundsätzliche Vorrang der Abrechnungskorrekturen ist indessen praktisch vielfach nicht umsetzbar, weil für die zuständigen Behörden nicht von vornherein erkennbar ist, ob bei Auffälligkeiten der Honorarabrechnung fehlerhafte Ansätze der Gebührenordnung oder eine unwirtschaftliche Leistungserbringung bzw ‑abrechnung vorliegen oder ob beides zusammentrifft. Vielfach zeigt erst eine nähere Untersuchung der Abrechnung im Rahmen der Wirtschaftlichkeitsprüfung, dass bestimmte, ggf. extreme Überschreitungen des Vergleichsgruppendurchschnitts hinsichtlich einzelner Leistungssparten oder ‑ besonders deutlich ‑ hinsichtlich von Einzelleistungen auf einen Fehlansatz einzelner Gebührenpositionen zurückgehen“ (BSG Urt. v. 6.9.2006 – B 6 KA 40/05 R – Rn. 19).

Wird allerdings eine Wirtschaftlichkeitsprüfung durchgeführt, ist es originäre Aufgabe der Prüfungsstelle, eventuell vorliegende und seitens des Arztes eingewandte Praxisbesonderheiten zu berücksichtigen und auf der Basis eine Überprüfung der ermittelten statistischen Werte vorzunehmen.

Praxistipp

Ärzte, die einer Wirtschaftlichkeitsprüfung unterzogen werden, sollten sich anwaltlich beraten lassen und auf erster Ebene prüfen, ob die Voraussetzungen des Wirtschaftlichkeitsprüfungsverfahrens überhaupt gegeben sind. In einem zweiten Schritt gilt es dann zu eruieren, ob Praxisbesonderheiten und kompensatorische Einsparungen substantiiert vorgetragen werden können.

Parallel dazu – und das lehrt die vorliegende Entscheidung des SG Marburg – sind stets die von der Prüfungsstelle gewählte Prüfmethode und deren korrekte Durchführung kritisch zu hinterfragen. Dies gilt insbesondere dann, wenn sich die Praxis in ihrem Leistungsspektrum deutlich von anderen Praxen der Fachgruppe unterscheidet.

Dabei stehen wir Ihnen gerne zur Seite.

RA Dr. Sebastian Braun