In seiner Sitzung am 16.01.2020 entschied der Bundestag darüber, ob es bei der Organspende in Deutschland zu einem Paradigmenwechsel kommen soll. Wie bei ethischen Entscheidungen durchaus üblich, wurde die Fraktionsdisziplin aufgehoben, die Abgeordneten sollen nur ihrem Gewissen folgen. Die Bundestagsabgeordneten hatten vor der Abstimmung ausführlich über die beiden Entwürfe diskutiert. Das Fazit der Abstimmungen sieht vor, dass die sogenannte Entscheidungs- oder erweiterte Zustimmungslösung einer Abgeordnetengruppe um Annalena Baerbock (Grüne) und Katja Kipping (Linke) kommt, der Gegenvorschlag einer „doppelten Widerspruchslösung“ um Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hingegen ist gescheitert. Organspenden bleiben in Deutschland also weiterhin nur mit ausdrücklich erklärter Zustimmung erlaubt.
So hat der Bundestag zwar mit breiter Mehrheit eine Neuregelung der Organspende beschlossen, die Möglichkeit einer radikalen Reform jedoch abgelehnt. Monatelang war zuvor über eine Neuausrichtung der aktuellen Zustimmungslösung bei der Organspende debattiert worden. Doch was besagen die beiden Varianten genau? Und was ändert sich nun für den Bürger, den Patienten, den Arzt?
Derzeitig noch Zustimmungslösung
Derzeit wird die Organ- und Gewebespende in Deutschland über die Zustimmungslösung, beziehungsweise deren Abwandlung der Entscheidungslösung, geregelt. Demzufolge ist die Entnahme von Organen und Geweben nach dem Tod nur zulässig, wenn die verstorbene Person dem zu Lebzeiten zugestimmt hat, beispielsweise in Form eines ausgefüllten Organspendeausweises. Sofern keine Entscheidung vorliegt, werden die Angehörigen des Verstorbenen befragt. Nur wenn diese stellvertretend zustimmen, ist die Entnahme zulässig.
Im Rahmen der Entscheidungslösung sollen die Bürger bei ihrer Entscheidungsfindung unterstützt werden, indem sie regelmäßig mit neutralen und ergebnisoffenen Informationen versorgt werden. Dies geschieht derzeit dadurch, dass alle über 16-jährige bei einer deutschen Krankenversicherung Versicherten im 2-Jahres-Rhythmus einen Organspendeausweis sowie Informationsmaterialien zugesandt bekommen.
Abgelehnte doppelte Widerspruchslösung
Kritisiert wurde hieran vor allem, dass somit allein durch eigene Passivität eine Bekanntgabe der Entscheidung unterbleiben könnte, obwohl man grundsätzlich zur Spende bereit wäre. Als Folge dessen kann es somit zu quasi „verpassten“ Spenden kommen, wobei Spenderorgane angesichts von rund 9.000 Patienten auf der Warteliste dringend gebraucht werden.
Um die Zahl der Organspenden anzuheben, sah die doppelte Widerspruchslösung eine zulässige Organentnahme dann gegeben, sofern die verstorbene Person einer Organspende zu Lebezeiten nicht ausdrücklich widersprochen hat, beispielsweise durch Eintragung in einem Widerspruchsregister. Somit könne die Passivität überwunden werden; jeder Bürger wäre grundsätzlich Spender, außer er widerspricht dem aktiv.
Zusätzlich sollten Angehörige der verstorbenen Person das Recht erhalten, der Entnahme zu widersprechen, sollte keine Entscheidung der verstorbenen Person vorliegen. Durch diese doppelte Möglichkeit des Widerspruchs sollte ein Kompromiss gefunden werden im Spannungsgefüge zwischen Selbstbestimmungsrecht eines jeden Bürgers, ethischen Aspekten und dem großen Ziel, angesichts der langen Wartelisten, die Zahl der Organspenden zu erhöhen.
Neue Entscheidungs- oder sogenannte erweiterte Zustimmungslösung
Die nun beschlossene Neuerung ist sich in diesem Ziel mit der Widerspruchslösung einig, im Weg jedoch sehr unterschiedlich. So sollen Bürger frei sein auch keine Entscheidung über die eigene Spendebereitschaft fällen müssen; Schweigen soll nicht als Zustimmung gewertet werden. Dazu heißt es in der Gesetzesbegründung: „Bei allen Maßnahmen zur Erhöhung der Organspenden nach dem Tod, muss diese als eine bewusste und freiwillige Entscheidung beibehalten werden, die nicht durch den Staat erzwungen werden darf. Denn die Selbstbestimmung über den eigenen Körper ist ein zentrales Element menschlicher Würde.“ (BT-Drs. 19/11087).
Folgende Regelungen sollen die Entscheidungsbereitschaft der Bürger stärken:
- Alle Bürger ab einem Alter von 16 Jahren sollen bei Beantragung oder Verlängerung eines Personalausweises bzw. bei Beantragung eines Passes – somit mindestens alle 10 Jahre – auf dem Amt auf die Organspende angesprochen werden und Informationsmaterial ausgehändigt bekommen.
- Schon beim Abholen eines Ausweises soll sodann die Möglichkeit bestehen, seine Entscheidung vor Ort in ein neues zentrales Online-Register einzutragen. Dies soll zusätzlich auch in Ruhe daheim erfolgen können; zudem sollen Änderungen jederzeit möglich sein.
- Ferner kommt Hausärzten eine größere Rolle zu: Sie sollen Patienten bei Bedarf alle zwei Jahre über Organspenden informieren und zur Eintragung in das Online-Register anregen. Dies soll aber ergebnisoffen und mit dem Hinweis erfolgen, dass weiterhin keine Pflicht zur Entscheidung besteht.
Für diesen zusätzlichen Beratungsaufwand erhalten Hausärzte auch eine in § 2 Abs. 1b TPG neu geregelte Vergütung. Der Vergütungsanspruch besteht je Patient alle 2 Jahre.
- Zudem soll künftig im Rahmen des Erste-Hilfe-Kurses vor einer Führerscheinprüfung auch Grundwissen über Organspenden vermittelt werden.
Hierdurch „sollen die Voraussetzungen dafür geschaffen werden, dass mehr Menschen sich mit der Frage der Organ- und Gewebespende auseinandersetzen und dazu eine informierte Entscheidung treffen, die dokumentiert wird“, BT-Drs. 19/11087.
Bessere Bedingungen für die Organspende in Kliniken
Unabhängig von der Debatte über eine Neuregelung der Organspende an sich, wurde auf Initiative von Gesundheitsminister Spahn bereits im Februar 2019 das „Gesetz zur Organspende“ (GZSO) beschlossen, welches die Bedingungen für Organspenden in Krankenhäusern verbessern soll: So erhöht es die Vergütung für Entnahme und Transport, sieht eine intensivere Kommunikation vor und setzt auf den Einsatz von mobilen Ärzteteams, die auch in kleineren Häusern ohne eigene Experten, eine Hirntoddiagnostik als Voraussetzung für Organentnahmen durchführen.
Fazit zu den Neuerungen
Viel ändert sich durch die Neuregelung der Organspende freilich nicht; der von Teilen erhoffte Umschwung zur Widerspruchslösung wurde eindeutig abgelehnt. Es wird sich zeigen, ob durch eine Entscheidungsfindung weiter verstärkende Maßnahmen auch wirklich ein Anstieg der Organspenden erzielt werden kann. Zumindest im Vergleich zum derzeitigen Stand stellt die Neuerung eine Verbesserung dar, da Bürger nun häufiger mit dem Thema Organspende konfrontiert werden. Wahrscheinlich wird aber das „Gesetz zur Organspende“, welches in den Medien nicht so präsent behandelt wurde, wie die hier besprochenen Neuerungen, eher einen Ausschlag geben.
Inwieweit die Information durch Hausärzte hier einen Beitrag und auch eine Möglichkeit zur Anhebung der Spendenbereitschaft darstellt, wird sich durch die gelebte Praxis zeigen. Sprechen Sie uns gerne an, damit Sie die neuen Möglichkeiten auch für Ihre Praxis optimal nutzen können.
Rechtsanwältin Anna C. Behr, M.mel.