Mit seinem Urteil vom 29.01.2019 hat der Bundesgerichtshof (VI ZR 117/18) klargestellt, dass sich verbale Risikobeschreibungen in Aufklärungsbögen im Rahmen der Risikoaufklärung nicht an den Häufigkeitsdefinitionen des Medical Dictionary for Regulatory Activities (MedDRA) orientieren müssen, wie dies für Medikamentenbeipackzettel gilt.

Das Problem

Der Kläger machte geltend, er sei unzutreffend über das Risiko der Lockerung seiner eingebrachten Prothese aufgeklärt worden, da die Angabe, es komme „gelegentlich“ zur Lockerung, das diesbezügliche Risiko verharmlose. Ein Herunterspielen und mithin das Vorliegen eines Aufklärungsfehlers verneinten sowohl das erstinstanzliche als auch das Berufungsgericht: nach den Feststellungen des Berufungsgerichts (OLG Frankfurt, Urteil vom 20.02.2018 – 8 U 78/16) besteht ein Lockerungsrisiko von 8,71 %. Dieses sei von der Angabe, es komme „gelegentlich“ zu Lockerungen der Prothese, umfasst, welche folglich keine Verharmlosung des Risikos darstellt. Mit der Revision verfolgte der Kläger sein Begehren weiter, ohne die Feststellungen des Berufungsgerichts anzugreifen.

Die Entscheidung

Der BGH bestätigte die Ansicht des OLG Frankfurt und stellte auf den allgemeinen Sprachgebrauch ab: So bezeichnet das Wort „gelegentlich“ nach dem deutschen Duden zufolge eine gewisse Häufigkeit, die zwar größer als „selten“, aber kleiner als „häufig“ ist (Rn. 20). Dabei lasse sich jedoch keine konkrete Häufigkeitszahl zuordnen. Vielmehr teilt der BGH die Auffassung des Berufungsgerichts, wonach sich eine statistische Häufigkeit im einstelligen Prozentbereich nach allgemeinem Sprachgebrauch ohne weiteres unter den Begriff „gelegentlich“ fassen lässt (Rn. 20). Zudem ist nicht zu erkennen, dass der Begriff „gelegentlich“ im Zusammenhang mit der Patientenaufklärung anders als sonst üblich verwendet wird. Insbesondere haben diesbezüglich die Häufigkeitsdefinitionen des MedDRA keinen Einzug in den allgemeinen Sprachgebrauch gefunden. Somit ist nicht davon auszugehen, dass sich innerhalb der Arzt-Patienten-Kommunikation die Häufigkeitsdefinitionen des MedDRA etabliert hätten, wonach ein Risiko von 8,71 % nicht mehr als „gelegentlich“, sondern vielmehr als „häufig“ zu bezeichnen wäre. Auch nach einer durch den Bundesgerichtshof herangezogenen Studie zeigt sich, dass selbst Ärzte und Pharmazeuten im Patientengespräch unter „gelegentlich“ eine Wahrscheinlichkeit von 10 % verstehen. Vor diesem Hintergrund sei nicht davon auszugehen, dass ausgerechnet Laien im Zusammenhang mit Aufklärungsgesprächen ein an den Definitionen des MedDRA orientiertes Verständnis aufweisen.

Praxistipp zur Risikoaufklärung

In der Arzt-Patienten-Kommunikation gilt es, die Balance zu finden zwischen dem Wissenshorizont und -bedürfnis des Patienten einerseits, sowie der Art und Weise der kommunikativen Vermittlung durch den Arzt andererseits. Ob dies insbesondere angesichts des allgegenwärtigen Zeitdrucks sowie der zahlreichen rechtlichen Anforderungen immer gewährleistet ist, ist fraglich. Eine große Unterstützung im Alltag des Aufklärungsgespräches stellen daher „Hilfsmittel“ wie beispielsweise Videosequenzen, Bilder und natürlich Aufklärungsbögen dar. Obwohl letztere vielleicht für den Laien Ähnlichkeiten mit den Medikamentenbeipackzetteln aufweisen, gelten hier jedoch unterschiedliche Anforderungen; insbesondere für die für Patienten so wichtige Angabe der Risikohäufigkeit müssen sich Ärzte also nicht nach den Beipackzettel-Definitionen richten.

Gerne unterstützen wir Sie beratend bei der präventiven Vermeidung von Aufklärungsfehlern sowie der – rechtlichen – Überprüfung der durch Sie verwendeten Aufklärungsbögen.

 

RAin Anna C. Behr, M.mel.