In der medizinrechtlichen Fachpresse verbreitete die aktuelle Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 23.06.2010 (Aktenzeichen B 6 KA 7/09 R) bereits Angst und Schrecken, bevor sie veröffentlicht war. Es war die Rede davon, dass das BSG sogenannte Nullbeteiligte in Gemeinschaftspraxen ein für alle Mal für unzulässig erklären würde. Jetzt liegt die Entscheidung im Volltext vor. Es kann aus meiner Sicht Entwarnung gegeben werden. Gleichwohl ist das Urteil lesenswert und für die Überprüfung bestehender Kooperationsformen essentiell.
Der Fall:
Drei Radiologen bildeten eine Gemeinschaftspraxis (heute Berufsausübungsgemeinschaft) an drei Standorten. Sodann war die Zusammenarbeit mit einem vierten Arzt erfolgen. Es wurde ein Probejahr vereinbart, in dem der Arzt intern als „freier Mitarbeiter“ im Außenverhältnis jedoch als Partner der Gemeinschaftspraxis angesehen werden sollte. Die näheren Einzelheiten regelte ein Kooperationsvertrag. Zu der gegenüber dem Zulassungsausschuss versicherten „partnerschaftlichen Einbindung“ des vierten Kollegen kam es nicht. Die Zusammenarbeit wurde wegen Unstimmigkeiten beendet.
Die Kassenärztliche Vereinigung vertrat nach einer Prüfung die Ansicht, dass in den Quartalen IV/1996 bis I/2001 Honorare zu Unrecht gezahlt worden seien, und forderte 1.785.135,03 DM zurück. Der Kläger und der Freie Mitarbeiter hätten die Genehmigung zur gemeinschaftlichen Ausübung der vertragsärztlichen Tätigkeit durch vorsätzlich falsche Angaben über die gesellschaftsrechtliche Beteiligung erlangt. Die Höhe des neu festzusetzenden Honorars sei unter Zugrundelegung des Fachgruppendurchschnitts ermittelt worden.
Nach erfolglosem Widerspruch war der Arzt in erster Instanz erfolgreich, unterlag aber in Berufung und Revision vor dem LSG und dem Bundessozialgericht.
Die Entscheidung des BSG:
Das Bundessozialgericht scheint bei der Auswahl der Entscheidungen, die es zur Entscheidung annimmt, sehr darauf zu achten, möglichst anhand von drastischen Fällen Nachlässigkeiten in der Ausgestaltung von Kooperationsformen und der entsprechenden Beratungspraxis offen zu legen. So war es auch hier.
Nach Ansicht des Gerichts, erfüllte die vertraglich vereinbarte Kooperation die Voraussetzungen des § 33 Abs 2 Satz 1 Ärzte-ZV nicht, weil der freie Mitarbeiter nicht in freier Praxis im Sinne des § 32 Abs 1 Satz 1 Ärzte-ZV tätig war.
Über die berufliche und persönliche Selbständigkeit, die für die Ausübung der Tätigkeit des Vertragsarztes in „freier Praxis“ erforderlich ist, verfügte der freie Mitarbeiter zu keinem Zeitpunkt. Dieser Arzt trug nach den Vereinbarungen zwischen ihm und dem Kläger das wirtschaftliche Risiko der Praxis nicht mit und war in keiner Weise am Wert der Praxis beteiligt, die durch seine Tätigkeit mit geschaffen wurde. Jedenfalls soweit beides explizit ausgeschlossen ist, wird die ärztliche Tätigkeit nicht mehr in freier Praxis ausgeübt.
An diesem Kriterium der Berufsausübung in freier Praxis fehlte es bereits, weil der Arzt hier tatsächlich als „freier Mitarbeiter“ tätig war. Da das Vertragsarztrecht den Typus des „freien Mitarbeiters“ nicht kennt, ist der betreffende Arzt vertragsarztrechtlich als „angestellter Arzt“ bzw. als „Assistent“ zu qualifizieren. Derartige Tätigkeiten sind nur mit entsprechender Genehmigung zulässig; daran fehlte es jedoch.
Die vertragsärztliche Tätigkeit in Form einer Gemeinschaftspraxis setzt vielmehr voraus, dass jedes einzelne Mitglied über eine (auch materiell rechtmäßige) Zulassung verfügt.
Weiterhin ist erforderlich, dass der Arztberuf, gestützt auf eines gefestigte Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, durch ein hohes Maß an eigener Verantwortlichkeit und eigenem Risiko in wirtschaftlicher Beziehung charakterisiert sei. Mithin wird eine Tätigkeit in „freier Praxis“ unzweifelhaft durch die Merkmale individuelle Unabhängigkeit und Tragung des wirtschaftlichen Risikos konkretisiert.
Gesellschaftsrechtlich, und hierum geht es in dem sozialrechtlich eingekleideten Fall eigentlich, ist es erforderlich, dass eine vertragsärztliche gemeinsame Berufsausübung mehr sei, als nach den §§ 705 ff BGB für die Stellung als Gesellschafter erforderlich ist. Gleichwohl darf die geforderte Teilhabe an Gewinn und Verlust der laufenden Praxistätigkeit nicht allein auf den Kapitaleinsatz bezogen werden. Dieser spiele laut Aussage des BSG bei der ärztlichen Tätigkeit nicht die ausschlaggebende Rolle.
Da bereits aus den genannten Aspekten die erforderliche Tragung eines wirtschaftlichen Risikos fehlte, genügte dies dem BSG, um hier eine fehlende Tätigkeit in freier Praxis anzunehmen. Es kam im vorliegenden Fall gar nicht darauf an, ob eine kapitalmäßige Beteiligung gefordert werden muss. Gleichwohl erläuterte das BSG, dass dies erst dann für die Bewertung eine Rolle spiele, wenn die Bewertung des vorrangigen (einkommensbezogenen) Kriteriums der „Tragung des wirtschaftlichen Risikos“ keine eindeutige Aussage erlaube.
Praxistipp:
Das Bundessozialgericht hat in seiner Entscheidung nicht das Ende der Null-Beteiligung in ärztlichen Kooperationsgemeinschaften ausgerufen. Vielmehr konnte das Gericht in der drastischen Fallgestaltung diese Frage offen lassen. Es hat aber sodann eindeutig erklärt, dass bei Vorliegen einer Beteiligung sowohl am wirtschaftlichen Gewinn wie auch an einem etwaigen Verlust (Einkommens-Risiko), nicht auch noch zwingend und ausnahmslos auch noch das weitere (Vermögens-)Risiko zu tragen ist. Das Gericht stellt dabei auch darauf ab, dass der Arzt in „einer“ nicht zwingend in seiner Praxis tätig sein muss. Pachtmodelle, Null-Beteiligungen etc. seien damit nicht per se ausgeschlossen.
Diese erfreulichen Ausführungen bedeuten jedoch nicht, dass man mit dem Schrecken davon gekommen ist und nunmehr zur Tagesordnung übergehen kann. Das Urteil beweist einmal mehr, dass ärztliche Kooperationen nicht nur durchdacht, sondern vor allem umsichtig vertraglich ausgestaltet werden müssen, um mannigfaltige Rechtsnachteile zu vermeiden. Das Urteil zeigt, dass existenzbedrohende Honorarrückzahlungen beim Gestaltungsmissbrauch drohen. Die strafrechtlichen Konsequenzen eines solchen Handelns sind ebenfalls zu beachten.
Achten Sie bei der Planung einer Zusammenarbeit peinlich genau darauf, dass bestimmte Befugnisse und Rechte nicht nur auf dem Papier existieren und dass keine dem Vertrag widersprechenden Sondervereinbarungen existieren. Nicht zuletzt empfiehlt es sich, die vertragliche Regelungen Spezialisten zu überlassen.