Die Notwendigkeit und der Umfang der Aufklärung bei ärztlichen Behandlungen ist oft Gegenstand juristischer Auseinandersetzungen. Für Standartbehandlungen ist diese Thematik schon umfangreich genug. Wie verhält es sich aber bei sogenannten Außenseitermethoden?
Zu dieser Frage hat der Bundesgerichtshof am 22.05.2007 (Aktenzeichen VI R 35/06) eine Entscheidung getroffen, die nachfolgend dargestellt werden soll:
Der Fall:
Ein niedergelassener Orthopäde behandelte stationär Bandscheibenbeschwerden mit dem sog. Racz-Katheter. Bei dieser Behandlung wird über einen Epiduralkatheter im Spinalkanal ein „Cocktail“ aus einem Lokalanästhetikum, einem Corticoid, einem Enzym und einer Kochsalzlösung im Bereich des von einem Bandscheibenvorfall betroffenen Segments eingespritzt.
In der von der Patientin unterzeichneten, vorgefertigten „Operationsaufklärung und Einwilligung“ sind als „Risiken“ und mögliche Komplikationen der Operation unter anderem die „Möglichkeit einer Querschnittslähmung und einer Blasen- und Mastdarmstörung“ angeführt und handschriftlich unterstrichen. Von einer konventionellen Bandscheibenoperation riet der behandelnde Orthopäde ab. Ein Hinweis darauf, dass dies eine Außenseitermethode ist, erfolgte nicht.
Nach dem Eingriff traten bei der Patientin starke Schmerzen auf. Darüber wurde der Orthopäde telefonisch informiert und er gab telefonische Anweisungen zur Verabreichung bestimmter Schmerzmedikamente sowie ein „Zurückziehen“ des Katheters um einen Zentimeter.
In der Folge traten die im Rahmen des Aufklärungsgesprächs explizit genannten Nebenwirkungen (Blasen- und Mastdarmstörung) auf.
Die Entscheidung:
Der BGH hat ausgeführt, dass die Behandlungsmethode zur Linderung oder Behebung der Schmerzen der Patientin nicht beanstandet wird und so in der Therapiewahl kein Behandlungsfehler zu erkennen ist. Zwar war die Methode im Behandlungszeitpunkt umstritten und damit keine allgemein anerkannte Heilmethode aber die Therapiewahl obliegt primär dem Arzt und er hat dabei nach der Rechtsprechung ein weites Ermessen.
Die Anwendung einer Außenseitermethode unterscheidet sich – wie die Anwendung neuer Behandlungsmethoden oder die Vornahme von Heilversuchen an Patienten mit neuen Medikamenten – von herkömmlichen, bereits zum medizinischen Standard gehörenden Therapien vor allem dadurch, dass in besonderem Maße mit bisher unbekannten Risiken und Nebenwirkungen zu rechnen ist. Deshalb erfordert die verantwortungsvolle medizinische Abwägung einen besonders sorgfältigen Vergleich zwischen den zu erwartenden Vorteilen und ihren abzusehenden, zu vermutenden oder aufgetretenen Nachteilen unter besonderer Berücksichtigung des Wohles des Patienten. Der behandelnde Arzt muss zwar nicht stets den sichersten therapeutischen Weg wählen, doch muss bei Anwendung einer solchen Methode ein höheres Risiko für den Patienten in besonderem Maße eine sachliche Rechtfertigung in den Sachzwängen des konkreten Falles oder in einer günstigeren Heilungsprognose finden.
Die Wahl der Behandlungsmethode und die Weiterbehandlung als solche sind kein einmaliger Vorgang zu Beginn des Eingriffs. Der Arzt hat sich im Verlauf der Behandlung wiederholt zu vergewissern, ob die Wahl und der Verlauf der Behandlung nach Chancen und Risiken dem Wohl des Patienten entsprechen. Diese Verpflichtung zur Überprüfung der Behandlungsmethode gilt erst recht, wenn im Verlauf der Behandlung Komplikationen auftreten. In diesem Fall muss der Arzt sich über deren Ursache vergewissern und darf die Behandlung nur fortsetzen, wenn auszuschließen ist, dass die Komplikationen durch die Behandlung verursacht sind.
Gerade weil hier eine neue Methode angewendet wurde war der Arzt nach Auftreten der Schmerzen gehalten, intensiv den weiteren Verlauf der Behandlung zu hinterfragen. Die bloßen telefonischen Nachfragen reichten trotz der Unterbringung der Patientin im Krankenhaus nicht. Bei Anwendung einer Außenseitermethode ist nicht der „normale“ Sorgfaltsmaßstab, also der eines durchschnittlichen Arztes, sondern grundsätzlich der Sorgfaltsmaßstab eines vorsichtigen Arztes entscheidend. Bei der Wahl einer anerkannten Behandlungsmethode hätte das Verhalten des Arztes dem „normalen“ Sorgfaltsmaßstab durchaus entsprochen. Der hier geforderte vorsichtige Arzt hätte die Patientin hingegen selbst eingehend untersucht und danach die weitere Therapie abgestimmt.
Auch die Aufklärung war nach Auffassung des BGH für die Wahl einer Außenseitermethode nicht ausreichend. In so einem Fall müssen dem Patienten nicht nur die Risiken und die Gefahr eines Misserfolges des Eingriffs erläutert werden, sondern er ist auch darüber aufzuklären, dass der geplante Eingriff (noch) nicht medizinischer Standard ist und seine Wirksamkeit statistisch (noch) nicht abgesichert ist.
Tipp für die Praxis:
Bei Außenseitermethoden muss die Aufklärung folgende Punkte enthalten:
Für und Wider sowie die Risiken der Methode
Gefahr eines Misserfolges
Hinweis, dass der Eingriff (noch) nicht medizinischer Standard ist und seine Wirksamkeit statistisch (noch) nicht abgesichert ist, zum Beispiel mit dem Hinweis: „klinisch-experimentell“
Weiterhin muss die Behandlung mit äußerster Sorgfalt durchgeführt und überwacht werden, dann steht auch einer Wahl von Neuen Methoden nichts entgegen.