Gesundheitsprobleme des Arztes, die sich auf die Behandlung auswirken können, sind aufklärungspflichtig. Anderenfalls macht sich der Arzt ggf. strafbar. So lautet das Ergebnis einer Aufsehen erregenden Entscheidung des LG Kempten (Urt. v. 08.10.2020 – 3 Ns 111 Js 10508/14).

Der Fall

Bei dem Angeklagten handelte es sich um einen Facharzt für Augenheilkunde. Im Rahmen dieser Tätigkeit führte er u. a. Kateraktoperationen durch. Im Jahr 2009 erlitt er einen Schlaganfall mit Gehirnblutung und einmaligem epileptischen Anfall. Als Folge dessen traten mannigfaltige Gesundheitsprobleme auf. So wurde u. a. eine Sprachstörung sowie eine rechtsseitige unvollständige Lähmung einer Körperseite diagnostiziert.

Nach Durchführung der notwendigen Rehabilitationsmaßnahmen begann er im März 2011 wieder, eigenständig ambulante Augenoperationen durchzuführen. Dabei ging der Arzt davon aus, seine Gesundheitsprobleme in solch einem Maß überwunden zu haben, dass er diese Operationen unproblematisch durchführen konnte. In den Jahren 2011 – 2016 operierte der Angeklagte ca. 3.000 Patienten. Dabei unterblieb eine Belehrung der Patienten über die Gesundheitsprobleme des Angeklagten.  Auch in den diesem Verfahren zugrunde liegenden 9 Fällen erfolgte keine Mitteilung darüber, dass er einen Schlaganfall erlitten habe und welche Folgen dies für seine operative Tätigkeit haben könnte. Im Rahmen der Durchführung dieser Operationen kam es zu Beschädigungen am Auge. Der Angeklagte war aufgrund seiner neurologischen und motorischen Einschränkungen objektiv ungeeignet, operative Tätigkeiten als Augenarzt durchzuführen. Dies wurde insbesondere im Rahmen des Ermittlungsverfahrens durch ein Sachverständigengutachten festgestellt. Nach Kenntnis dieses Gutachtens, stellte der Angeklagte seine Tätigkeit als Operateur umgehend ein.

Die Entscheidung

Das Gericht bejaht eine Strafbarkeit des Arztes wegen fahrlässiger Körperverletzung gemäß § 229 StGB. Hierbei stellt es insbesondere darauf ab, dass der ärztliche Eingriff (Kataraktoperation) nicht durch eine ordnungsgemäße Aufklärung gerechtfertigt ist. Mit den Geschädigten habe nur eine „Grundaufklärung“ über die Risiken der Operationen im Allgemeinen stattgefunden. Eine zusätzliche Aufklärung „über die gesundheitlichen Beeinträchtigungen des Angeklagten, welche sich als solche Mängel in der Person des Angeklagten darstellen, die für die sachgerechte Berufsausübung von Bedeutung sind“ (Rn. 187) sei sorgfaltspflichtwidrig nicht erfolgt. Eine Strafbarkeit wegen eines vorsätzlichen Körperverletzungsdelikts scheide jedoch aufgrund eines Erlaubnistatbestandsirrtumes des Angeklagten gemäß § 16 StGB aus, da er fest davon ausging, die hinreichenden Fähigkeiten für die Durchführung der Operation zu besitzen. Er stellte sich daher eine ordnungsgemäße Einwilligung der Patienten vor.

Praxishinweis

Die Entscheidung erweitert das ärztliche Aufklärungsspektrum um einen weiteren Baustein. Erstmalig legt ein Gericht ausdrücklich fest, dass Patienten über Gesundheitsprobleme des Arztes aufzuklären sind und das Unterbleiben der Aufklärung strafrechtlich relevant sein kann.

Für Ärzte, die unter gesundheitlichen Beeinträchtigungen leiden, gilt nunmehr eine erhöhte Prüfungspflicht. Jeder Arzt sollte dabei gedanklich in 3 Schritten vorgehen und sich folgende Fragen stellen:

1. Auswirkungen?

Haben meine Gesundheitsprobleme potenziell Auswirkungen auf meine Behandlung bzw. ärztliche Tätigkeit? Wenn ja, dann gelten erhöhte Anforderungen an die ärztliche Sorgfaltspflicht.

2. Kein Übernahmeverschulden?

Bin ich trotz der Gesundheitsprobleme in der Lage, die Behandlung bzw. den Eingriff durchzuführen?

Muss man diese Frage mit „Nein“ beantworten, dann darf die Behandlung nicht durchgeführt werden, da anderenfalls haftungsrechtliche Konsequenzen in Form des sog. Übernahmeverschuldens drohen können.

Beantwortet man die Frage mit „Ja“ sollten sich Ärzte z.B. nach einer Rehabilitationsmaßnahme ggf. attestieren lassen, dass sie ohne Risiko für ihre Patienten wieder operieren/behandeln können (so zutreffend auch Hoven, GesR 2021, 293). Gerade an einem solchen Attest hatte es im oben beschriebenen Fall gefehlt.

3. Aufklärung des Patienten erfolgt?

Sind Ärzte in der Lage, trotz der Gesundheitsprobleme zu arbeiten, müssen die Patienten dennoch aufgeklärt werden. Hierbei muss sich die Aufklärung auf solche Umstände beziehen, die Einfluss auf die sachgerechte Durchführung der ärztlichen Heilbehandlung haben können.

Gerne stehen wir Ihnen für eine weitergehende Beratung zu diesen Fragen zur Verfügung.

RA Dr. Sebastian Braun